Qualitätsarbeit

von Hans Flugwetter
copyright 1997, 1998 Melusine Verlag
(aus
homo helvetico-politicus)


“Ist die Rakete bis vier Uhr fertig?” fragt der Chef. “Wenn wir definitiv heute Nachmittag auf den Mond fliegen, sollte ich das meiner Frau sagen, sonst wartet sie mit dem Nachtessen umsonst auf mich.”
“Wir haben da gewisse Schwierigkeiten”, sagt der Projektleiter bedächtig, “wir sind noch nicht sicher, ob eine spitze Nase besser wäre für die Rakete, oder eine abgerundete.”
“Warum gibt das Probleme?”
“Fritz, unser Entwickler der Nase” - der Projektleiter nickt zum dritten der vier Männer am Tisch hin - “hat den Befehl für die Abrundung von Spitzen im CAD-System noch nicht gefunden. Darum sieht die Rakete noch etwas kantig aus.”
“Eine kantige Rakete? Warum nicht? Das passt doch zu den Holzschnitzen hier an der Wand.”
“Es gibt Probleme mit der Reibung. Und die Steuerflügelchen passen nicht dazu, die will Max” - der Projektleiter nickt zum vierten Mann hin - “schön gebogen.”
Der Projektleiter wühlt in den Papieren, die den Tisch zudecken und hält dann dem Chef eine Zeichnung vor die Nase.
“Was hat dieser Würfel mit der Rakete zu tun?” fragt der Chef erstaunt. “Eine Transportkiste für den Proviant?”
“Die Raketennase, vorläufiger Entwurf”, erklärt der Projektleiter und winkt insgeheim, so dass Fritz die Geste nicht sieht, beschwichtigend mit der Hand.
“Aha”, nickt der Chef langsam. “Dann müssen wir eben die Entwicklung umstellen, sonst werden wir niemals fertig bis heute abend. Max, entwickle du die Nase, dann soll Fritz deine Flügelchen fertigzeichnen.”
“Ich?” fistelt Fritz und färbt sich rot. “Flügelchen? Warum ausgerechnet ich? Und wieso Flügelchen? Ich habe noch nie was mit Flügelchen zu tun gehabt, und überhaupt weiss ich nicht, was Flügelchen mit einem Motorboot zu tun haben.”
“Wir bauen ein Raumschiff, Fritz!”
“Ja, klar, weiss ich, ein Schnellboot mit viel Platz!”
“Eine Rakete, Fritz!”
Alle warten, bis Fritz begreift.
“Das ist kein Codename für ein Schnellboot?” wispert Fritz und verliert seine Farbe.
“Nein.”
“Das höre ich zum ersten Mal!” Wieder schaltet sein Gesicht auf Rot. “Ein Sauladen ist das! Wie wollt ihr denn damit nach Monaco kommen, das ist doch völlig übertrieben! Die haben dort keinen Raumschifflandeplatz.”
“Nicht Monaco, Fritz. Wir wollen auf den Mond”, sagt der Projektleiter und legt Fritz beruhigend die Hand auf den Arm. “Darum heisst die Firma doch Mondflug AG.”
“Was sollen wir auf dem Mond? Ich dachte, wir bekommen in Monaco Land für Ackerbau, sobald wir mit unserem Schnellboot angekommen sind.”
“Aber nein, Fritz, in Monaco hat’s doch längst kein Ackerland mehr. Aber auf dem Mond, da bekommt jeder von uns ein paar Tausend Quadratkilometer und kann dann anpflanzen, was er will. So sagte jedenfalls der Beamte, der mich von diesem Programm überzeugte. Und der muss es ja wissen.”
“Aber wem gehört denn der Mond? Können wir den einfach so besetzen? Waren nicht die Amerikaner zuerst dort?”
“Klar, aber die sind ja wieder abgezogen, wahrscheinlich, weil sie zu wenig von Ackerbau verstehen.”
“Ich eigentlich auch.”
“Daraus macht dir keiner einen Vorwurf. Und auf dem Mond sieht das ja niemand. Das wäre in Monaco viel schlimmer.”
“Warum sind sie wieder abgezogen”, beharrt Fritz. “Ist der Mond etwa unfruchtbar?”
Der Chef konzentriert sich auf seine Fingernägel und gibt vor, nachzudenken.
“Ich hab’s!” sagt der Projektleiter helfend zum Chef. “Vielleicht mussten sie auch wieder zurück, weil sie bloss ein Touristenvisum hatten.”
“Und sie spannten die Fahne auf?” fährt Fritz dazwischen. “Erzähl mir keinen Mist. Der Mond ist unfruchtbar und gehört den Amis und damit basta.”
“Falsch”, wirft Max ein, der lange geschwiegen hat, “der Mond gehört jetzt der Schweiz. Das ist ein Kompensationsgeschäft für die Abwehrjäger, welche die Schweizer Armee den Amerikanern abkauft.”
“Kompensationsgeschäft? Ha! Wie soll denn das funktionieren? Ich dachte, für den Kauf der F/18 sollten die Amerikaner zur Kompensation der Schweiz dann Schokolade abkaufen. Jetzt kaufen wir ihnen plötzlich auch den Mond ab?” Fritz hopst auf seinem Sitz auf und ab.
“Du verstehst das falsch”, dämpft der Chef. “Den Mond geben sie uns als Kompensation dafür, dass wir ihnen die Jäger abnehmen. Und wir hier sollen zur Kompensation auf den Mond, sagten sie mir im Bundesamt für Abschiebung.”
“Was ist denn das für ein Amt?” knurrt Fritz.
“Das ist eigentlich geheim, aber ich kann es euch schon sagen, schliesslich machen wir ja seit zwanzig Jahren zusammen ein Geheimprojekt. Das BAA ist das Amt, das unsere Forschung und Entwicklung finanziert. Von allem Anfang an.”
“Das soll ein Geheimprojekt sein?” fragt Max höhnisch. “Warum steht dann auf dem Dach das Riesenschild Mondflug AG? Das ist so gross, dass man es vom Nordpol her noch lesen kann!”
“Eben.” Der Chef lehnt sich genüsslich zurück. “Das ist die Finte! Das glaubt ja keiner! Die denken alle, wir wollen bloss einen Charterflug nach Monaco verkaufen.”
“Dachte ich auch”, murmelt Fritz.
“Seht ihr! Auch Fritz ist die ganze Zeit durch darauf reingefallen!”
“Also soll ich nun die Flügelchen für eine Mondrakete machen? Da habe ich doch keine Erfahrung.” Fritz ist den Tränen nahe.
“Du kannst auch die Steuerelektronik bauen, wenn du willst”, schlägt der Projektleiter vor, “die haben wir ja auch noch nicht.”
“Von Elektronik verstehe ich nun gar nichts! Noch weniger als von Ackerbau.”
“Wag' doch mal was Neues. Und wenn's schief läuft, sieht’s ja keiner.”
“Ich möchte aber lieber einen Motor bauen.”
“Brauchen wir das denn überhaupt?” fragt der Chef. “Da draussen hat’s doch gar keine Tankstellen.”
“Ich will aber den Motor bauen.”
“Immer eine Extrawurst für Fritz”, knurrt Max. “Was denkst du eigentlich, wofür wir hier bezahlt werden?”
“Motor, Motor, Motor.”
“Na gut, Fritz, und hör bitte auf, mit den Füssen zu stampfen”, sagt der Chef und greift zum Telefon. “Dann versuche ich mal, die Gelder für den Motor beim Staat lockerzumachen.” Er wählt bedächtig und wiederholt eine Nummer.

Die anderen murmeln unterdessen unzufrieden und schieben Papier auf dem Tisch umher.
“Mond! Wie soll ich da über Mittag nach Hause essen gehen?” sagt Fritz.
“Ach komm, sei kein Defätist, vielleicht gibt’s auf dem Mond eine Kantine”, tröstet Max.
“Oder einen McDonald’s”, meint der Projektleiter.
“Unmöglich!”, fährt Max dazwischen.
“Wieso? Die Amis waren doch dort?”
“Was meinst du, warum die schleunigst abgezogen sind?”
“Ich will aber weder Kantine noch McDonald’s,” erklärt Fritz. “Ich will nach Hause über Mittag, schliesslich habe ich das die letzten zwanzig Jahre so gemacht, und ich kann mich jetzt nicht einfach so schnell umstellen.”
“Ja, sowas braucht Zeit.” Der Projektleiter kontrolliert seine Agenda. “Vielleicht sollten wir den Start der Rakete auf morgen früh verschieben und nochmals darüber nachdenken.”
“Vielleicht sollten wir die Zeit bis zum Start auch noch benutzen, um uns besser zu organisieren?” schlägt Max versöhnlich vor.
“Wie gestern?” zirpt Fritz betupft. “Da haben wir doch auch reorganisiert.”
“Auch vorgestern. Das braucht es einfach”, nickt Max und sucht mit den Augen die Unterstützung des Projektleiters. “Sonst würden wir ja nie fertig mit unserem Projekt. Besonders jetzt, wo ständig neue Aspekte auftauchen, wie da dein Motor.”
“Übrigens, das mit dem Motor war eine gute Idee”, sagt der Projektleiter und klopft Fritz auf die Schultern, “die beste in all den Jahren, die ich schon das Projekt leite. Ich wäre da nie draufgekommen. Ich spüre, dass unser Projekt vorankommt. Hoffentlich kriegt der Chef die Geldgeber dazu.”

“Das mit dem Motor sollte kein Problem sein”, sagt der Chef und legt eben den Hörer auf, “man hat mir gesagt, wir könnten alles haben, wenn wir bloss bald auf dem Mond landen.”

aus homo helvetico-politicus